In einem Workshop gegen Extremismus, dass vom österreichischen Sozialministerium finanziert wird, teilte ein Jugendlicher, der anonym bleiben möchte, seine bewegende Lebensgeschichte mit. Er ist in Österreich aufgewachsen und fühlte sich in seiner Kindheit als Österreicher – schließlich war dieses Land seine Heimat. Doch bereits früh musste er erfahren, dass nicht alle Menschen ihn so sahen. In der Umgebung, in der er aufwuchs, herrschte vielerorts eine ablehnende Haltung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund.
Als er einmal erwähnte, dass er Österreicher sei – immerhin besaß er die österreichische Staatsbürgerschaft –, wurde ihm von einer älteren Dame entgegnet, dass er niemals ein echter Österreicher sein könne. Sein äußeres Erscheinungsbild passe nicht zu dem Bild, das sie von einem „echten“ Österreicher hatte. „Du wirst immer ein Ausländer bleiben“, waren ihre Worte – eine Aussage, die ihn tief verletzte.
Mit zunehmendem Alter wurde die Situation für ihn nicht einfacher. In der Schule und in seinem privaten Umfeld wurde er immer wieder mit Fragen konfrontiert, die ihn in eine Schublade drängten. Er sollte erklären, warum die Taliban bestimmte Gräueltaten begingen oder warum Osama bin Laden dieses oder jenes getan hatte – als ob er für deren Handlungen verantwortlich wäre. Dabei hatte er nie eine Verbindung zu diesen Personen oder deren Ideologien gespürt. Ganz im Gegenteil: Er identifizierte sich mit Österreich, mit seinen Werten und seiner Kultur. Doch egal, wie sehr er sich bemühte, immer wieder wurde er in eine Ecke gedrängt, die nicht seine eigene war. Irgendwann begann er zu glauben, dass es völlig egal sei, was er tat – für manche würde er immer der „afghanische Terrorist“ bleiben.
Mit der Zeit wuchs in ihm eine Wut über diese Ungerechtigkeit. Es schien, als gäbe es keinen Ausweg aus dieser gesellschaftlichen Zuschreibung. Besonders beunruhigend war, dass extremistische Gruppen genau diese Gefühle ausnutzten. Sie erzählten ihm dasselbe, was er bereits von Teilen der Gesellschaft gehört hatte: „Egal, was du tust, du wirst niemals dazugehören. Sie werden dich niemals als einen von ihnen akzeptieren.“ Diese Botschaft wirkte auf ihn, denn sie spiegelte seine eigenen schmerzhaften Erfahrungen wider.
Doch dann machte er auch eine andere, hoffnungsvollere Erfahrung: Er begegnete Menschen, die ihn nicht aufgrund seiner Herkunft oder seines Aussehens beurteilten, sondern ihn so akzeptierten, wie er war. Diese Begegnungen öffneten ihm die Augen. Er erkannte, dass es überall – sowohl in seinem Herkunftsmilieu als auch in der österreichischen Gesellschaft – gute und schlechte Menschen gibt. „Genau wie es bei uns Idioten gibt, gibt es sie auch hier“, dachte er sich. Man dürfe Menschen nicht nach den Taten einer extremistischen Minderheit beurteilen.
Dennoch stand er an einem gefährlichen Scheideweg. Die Ausgrenzung, die Wut und das Gefühl der Perspektivlosigkeit hätten ihn beinahe in die Arme extremistischer Gruppen getrieben. Doch er entschied sich dagegen. Die späte Erfahrung mit Menschen, die ihn so akzeptierten wie er war und nicht in eine Schublade mit bestimmten terroristischen und politischen Gruppen warfen, bei denen er weder Mitglied, noch Sprecher war, therapierten ihn dahingehend, dass er sich von radikalen Gruppierungen distanzieren konnte.